Gekommen um zu bleiben – Wie das läuft mit der Einwanderung in Quebec

In meinem letzten Blog-Eintrag hab ich angekündigt, dass der nächste Eintrag etwas politischer wird. Politisch heißt auch, sich aus dem Fenster zu lehnen. Also mach ich mal das Fenster auf.

Mir wird hier in Kanada immer wieder diese Frage gestellt: „Willst du hier bleiben?“ Die Antwort gebe ich euch etwas später. Für den Augenblick soll es um die EinwanderInnen gehen, denen ich bislang begegnet bin. Es gibt einige. Vor allem bei VMC trifft man sehr viele Menschen, die vor einiger Zeit nach Kanada gekommen sind, um zu bleiben. Junge Leute aus Russland, China, Bangladesch, Argentinien, Kolumbien, Brasilien, Chile, Peru. Vom Physiker über den Ökonom bis zur Programmiererin ist alles dabei.

Die meisten sind hierher gekommen, weil sie den teilweise schwierigen Zuständen zuhause entfliehen wollten. Generell habe ich den Eindruck, dass es allen Einwanderern, auch den jungen, schwer fällt, hier wirklich anzukommen. Angehörige, Freunde und Familie sind weit weg. Die Kultur ist eine ganz andere. Man versucht beruflich Fuß zu fassen, was nicht immer einfach ist.

Die Sprache ist der Schlüssel zu allem. Man kann eigentlich sagen, dass alle, die kein Französisch sprechen (ich zähle mich auch dazu) in der Gaming-Branche landen. Dort kann man wiederum mit seiner Muttersprache punkten.

Auch wenn wir eigentlich in Kanada sind, in Quebec ist einiges anders. Die erste Sprache ist Französisch, die zweite Sprache ist Englisch. Auf dem Land, also außerhalb Montreals, sprechen die meisten Leute nur Französisch und gar kein Englisch.

Die Gesetze in Quebec schreiben Bilingualität in allen Arbeits- und Lebensbereichen vor. D. h. alle Unternehmen müssen zweisprachig arbeiten wobei Französisch die dominierende Sprache ist. Bei VMC zum Beispiel stehen überall amerikanische Laptops ergänzt um externe französische Tastaturen. Alle E-Mails müssen zweisprachig erfolgen. Die „Sprachpolizei“ ist streng. Hier sind wohl Firmen schon mit Strafen belegt worden, weil die Drucker auf Englisch eingestellt waren …

D. h. also im Klartext: Ohne Französisch bekommt man hier keinen besseren Job. Und selbst wenn man die Sprache beherrscht werden die ausländischen Abschlüsse oft nicht anerkannt. Vor allem in den Bereichen Medizin und Recht. Zudem werden BewerberInnen mit kanadischem Pass bevorzugt. Um also wirklich gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben sollte man (mindestens) Englisch und Französisch sprechen sowie die kanadische Staatsbürgerschaft besitzen. Das heißt also, ich müsste als Deutsche meine deutsche abgeben, da D nur eine Staatsbürgerschaft erlaubt. Es gibt wohl wohl auch Ausnahmen, die müssen jedoch gut begründet sein und ist natürlich auch wieder Mehraufwand.

Beim Stammtisch-Grillen (zum deutschen Stammtisch ein andermal etwas mehr) vor ein paar Wochen hab ich Hans kennengelernt, er ist Arbeitsvermittler und arbeitet für eine NGO, die der Regierung unterstellt ist. Hans ist Franke und lebt schon fast 20 Jahren in Kanada, sein Blog: hansheisinger.com
(Empfehlen möchte ich seinen Beitrag über das vielleicht zu Unrecht gelobte kanadische System zur Einwanderung.)

Finde es erstaunlich, dass hier über 200 Ethnien friedlich zusammen leben und alle, wirklich alle Menschen positiv gegenüber Einwanderung eingestellt sind. Warum das so ist?! Ich vermute, weil Einwanderung hier eine jahrzehntelange Tradition hat und es schon immer bunt gemischt zu ging. Andererseits aber auch, weil durch das variable Punktesystem (das ständig dem Bedarf am Arbeitsmarkt angepasst wird) nur qualifizierte Leuten reingelassen werden. Zudem muss man innerhalb eines bestimmten Zeitraums ein Jobangebot vorweisen, wenn man dauerhaft hier leben will. Ansonsten muss man Kanada wieder verlassen. Das passiert wohl öfter als man glaubt.

Montreal war lange Zeit eine geteilte Stadt. Auf der einen Seiten die protestantischen Angelsachsen, auf der anderen Seite die frankophonen Katholiken. (Wer mehr dazu wissen möchte kann gerne bei Wikipedia weiterlesen.)

Nachdem das kulturelle Bewusstsein der Quebecois vor Jahrzehnten wieder erstarkt war wurden die Sprachgesetze eingeführt. Durch die strengen Auflagen hat man sich jedoch nicht nur Freunde gemacht. Viele Unternehmen sind damals abgewandert und Toronto ist wirtschaftlich vorbeigezogen an Montreal. Auch wenn man hier mit Förderprogrammen besonders die IT- und Gaming-Szene nach MTL locken will, Toronto wird noch für lange Zeit der wirtschaftliche Dreh- und Angelpunkt Kanadas bleiben.

Was ich ganz persönlich von dem Französisch-Diktat halte? Ich find’s gut, dass sich die französische Kultur hier für so lange Zeit gehalten hat und weiterhin gegen die Angelsachsen ringsherum verteidigt wird. Wirklich! Jedoch find ich es zum Teil schon übertrieben und ist es halt so, dass das Englische oft überhaupt nicht auftaucht, es mit der Bilingualität also nicht so genau genommen wird, egal ob auf der Speisekarte im Restaurant oder Schnell-Imbiss noch auch Beschreibungen im Park. Quebec ist vermutlich der einzige Ort auf der Welt wo es nicht Starbucks Coffee sondern Café Starbucks heißt. Selbst KFC (Kentucky Fried Chicken aka Kentucky schreit ihrwisstschon) heißt hier PFK (Poulet Frit Kentucky). Man sollte nicht überrascht sein, wenn einem ab und zu im Supermarkt die arrogante Franzosenkeule um die Ohren fliegt. Mir ist es mehrere Male passiert, dass die Kassiererin (egal ob jung oder alt) die Kommunikation einstellt sobald ich nur Englisch mit ihr spreche, kombiniert mit einem abschätzigen Blick („Ach Gottchen, sie spricht die Sprache nicht!“). Das ist natürlich etwas, worüber man sich mit den Mitmenschen und KollegInnen unterhält. Ich bin bei Weitem nicht die Einzige, die solche Erfahrungen gemacht hat.

Jetzt höre ich euch sagen „Ja warum bist du denn nach Quebec gegangen?“. Guter Punkt. Weil ich hier einen Job gefunden habe. Nova Scotia hat diesbezüglich nichts hergegeben. Außerdem ist Montreal ’ne geile Stadt mit einem riesigen Kulturangebot. Mir hatten alle Leute versichert, dass ich hier mit Englisch sehr gut zurechtkommen würde, was ja in der Regel auch der Fall ist. Und würde ich hier dauerhaft leben, natürlich würde ich Französisch lernen, das steht doch außer Frage.

Wo wir auch schon beim Punkt angekommen sind, ob ich mir vorstellen könnte, hier zu leben. Nein. Und mit dieser Antwort überrasche ich viele, weil die meisten sind ja gekommen, um zu bleiben.

Mir haben viele vor der Abreise gesagt „Ach, du bleibst ja eh da.“ Warum unterstellt man mir eigentlich, dass ich gleich auswandern will, nur weil ich mal länger aussteigen will?! Dazu müsste es hier ja erstmal besser sein. Und das ist es nicht. Das habe ich auch so nie erwartet. Ich bin ziemlich zufrieden mit meinem Leben in Köln. Hätte ich auswandern wollen wäre ich damals in Australien geblieben.

 Meine Heimat ist Europa, mein Zuhause ist Deutschland.

Warum ich diese Reise dann mache? Weil ich noch jung genug war, mich für ein „working holiday visa“ zu bewerben. Weil es wunderbar herausfordernd ist, sich nochmal aus der Komfortzone zu bewegen. Weil es eine gute Möglichkeit ist, Land und Leute kennenzulernen; sich Zeit zu lassen, runterzukommen, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen, die Perspektive zu wechseln. Kanada ist ein tolles Land zum Reisen, ich vermute, dass British Columbia landschaftlich der Hammer wird!

Natürlich hat man hier genauso seine Höhen und Tiefen, ist ja ganz normal. Aber ich genieße hier jeden Moment und bin unglaublich dankbar dafür, dass man mir diese Reise und die Auszeit ermöglicht hat. 9 Monate hab ich noch. An dieser Stelle ganz besonderen Dank und Grüße an die KollegInnen in Köln!

Macht et joot und schwenk de Hoot!

PS. Kanada wird zurzeit von einer sehr konservativen Partei regiert. Jedes Jahr werden deshalb nur ein paar Tausend Flüchtlinge aufgenommen, obwohl der Großteil der Bevölkerung sich dafür ausspricht, mehr Refugees aufzunehmen. Kanada befindet sich mitten im Wahlkampf, im Oktober sind Parlamentswahlen. Und so mutiert das Flüchtlingsdrama zum Wahlkampfthema.

6 Kommentare

  1. Allez Mme ‚eisér – quite a statemént! 😉 Genieß den Herbst und mach Dir eine wundervolle Zeit, wat Besseres hättest du kaum machen können!

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  2. Hast du mal versucht in Frankreich deutsch oder englisch zu sprechen? Man könnte ja fast anmuten, es liegt allein an der Sprache – voulez-vou….? Auf der einen Seite unflexibel, altmodisch, nicht bereit für Neues, auf der anderen Seite „Respekt“ es über so viele Jahre knallhart durchzuziehen.
    Realität-sei-Dank…. jedes Land hat mit seinen Herausforderungen zu kämpfen. Auswandern bedeutet schließlich nicht, ins Paradies der Träume zu entfliehen.

    Weiterhin: Viel Spaß / have fun / amuse-toi bien
    Schung jereß von dahem (wo ist das?) 😀

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  3. Eine Anmerkung zu Franzoesisch in der Arbeitswelt: Offiziell wird NUR Franzoesisch gesprochen. Per Gesetz 101 in grossen Firmen auf jeden Fall (Englisch ist offiziell NICHT erlaubt!), nur kleinere Firmen duerfen eine andere Sprache benutzen. ABER JEDER, der auf Franzoesisch beharrt, muss auch auf Franzoesisch behandelt werden. Die Praxis sieht anders aus, ohne Englisch laeuft zumindest im modernen Business gar nichts. Ich kenne Faelle von Kumpels, die in einer 50 Personen starken Firma arbeiten, (illegaler Weise) mit Englisch als einziger Sprache. Um die Sprachgesetze zu umgehen, stellen sie nur Nicht-Frankophone ein. Denn sobald ein einziger Frankophone das meldet, holla die Waldfee. So sieht es in vielen Firmen aus: aus Angst werden keine Frankophonen eingestellt. Da hat das Gesetz ja viel gebracht!

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    • Hallo Christian, danke für deine Erläuterungen! Es geht halt nichts über gefährliches Halbwissen (damit bin ich gemeint!) 😉 Sonnige Grüße aus Calgary

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